Großmutter Holzsammlerin

Die Luft geht kalt, der Wind hinstreicht,
alt Mütterchen langsam nach Hause schleicht.
Eil dich, alt Mütterchen, eile!
Hat Reisig gesammelt im knarrenden Wald,
der Abend sinkt, die Nacht kommt bald,
der Korb auf dem Rücken drückt schwer, drückt schwer,
doch die Kinder zu Hause hungert so sehr,
eil dich, alt Mütterchen, eile!
Den zitternden Rücken zur Erde gebückt,
die starrenden Hand' ineinander gedrückt,
sie hat sie mit dürftiger Schürze umhüllt,
denn der Winterwind heult und pfeift so wild,
eil dich, alt Mütterchen, eile!
Da horch, da horch: mit Schellengeklirr,
mit Pferdegetrappel und Peitschengeschwirr
geht ein Schlitten vorbei, das Ross greift aus.
»Säß' ich drin«, denkt die Alte, »bald wär' ich zu Haus«.
Eil dich, alt Mütterchen, eile!
Siehst nicht, wie der Himmel in Wolken sich türmt?
Wie in Flocken es wirbelnd herniederstürmt?
Es häuft sich der Schnee, es versinkt die Au,
rings wird es so düster, rings wird es so grau,
eil dich, alt Mütterchen, eile!
Sie schleicht dahin mit wankendem Tritt,
es wächst ihr der Weg mit jeglichem Schritt,
ihr zitterndes Herz in die Augen ihr schwillt,
ihr trocknes Auge in Tränen quillt,
eil dich, alt Mütterchen, eile!
Der Pfad ist verloren, der Weg ist verschneit,
das heimische Dorf ist weit noch, gar weit,
doch den Kirchturm, von ferne kannst du ihn sehn –
du Alte, du Alte, o bleibe nicht stehn,
eil dich, alt Mütterchen, eile!
Alt Mütterchen wandert nicht vor nicht zurück,
die Heimat sucht ihr umnachteter Blick,
sie setzt sich langsam in weichen Schnee,
drückt das Haupt in die Knie, ihr wird so weh,
eil dich, alt Mütterchen, eile!
Das Sternenheer beginnt seinen Lauf,
die Alte sitzt, sie stehet nicht auf,
Der Tod schreitet her übers schneeige Feld,
ihm gehört nun die schweigende schaudernde Welt,
fliehe, alt Mütterchen, fliehe.
Die Kinder zu Hause, die jammern so sehr,
die Alte stört es im Leben nicht mehr,
die Kinder schreien nach Brot, nach Brot,
alt Mütterchen hört's nicht, alt Mutter ist tot.
Schlaf nun, alt Mütterchen, schlafe.
Ernst Adam von Wildenbruch(1845 –1909)

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