Schweigen mit Dir
Am 23. Mai 1886 wurde der Dichter Max Herrmann-Neiße geboren.
Schweigen mit Dir
Schweigen mit Dir: das ist ein schönes Schwingen
Von Engelsfittichen und Gottes Kleid
Und süß. Unsagbar sanftes Geigenklingen
Verweht von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Schweigen mit Dir: das ist verschwistert Schweifen
Auf weißen Wegen und geliebtem Pfad
Und Fühlen, wie sich Blut zu Blute reifen
Und ranken will aus segensreicher Saat.
Schweigen mit Dir: das ist der Schwalben Schwirren
Um abendliche Türme sonnensatt
Und wonnig-wissen, wenn wir uns verirren,
Uns blüht gemeinsam doch die Ruhestatt.
Schweigen mit Dir: das ist aus Schwachsein Schwellen
Zu immer größrer Fülle, Form und Frucht,
Ist Wärme von Kaminen, Hut in hellen,
Verstohlnen Stuben, Bad in blauer Bucht.
Schweigen mit Dir: so sicher singt das Sehnen
Von Seele sich zu Seele wunderbar -
Ich weiß mein Haupt in deinem Schoße lehnen
Und deine Hände streicheln hold mein Haar!
Max Herrmann-Neisse, aus: Die weißen Blätter, Juli 1915
Max Herrmann-Neiße, geboren am 23. Mai 1886 in Neiße, Schlesien; gestorben am 8. April 1941 in London, Deutscher Dichter, von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben, in dem er 1941, wurzellos, starb.
„Er ist der grüne Heinrich, und alle glauben es, wenn ich das sage. »O ja, er ist der grüne Heinrich.« Seine Augen sind grün, sein Haar ein geschorener grüner Wiesenfleck; seine Eidechsennase – immer schlängelt sie sich. Und sein grüner Primanermund schwellt noch an vor Erwartung. Und seine Seele ist grün und tief, ein heller Schilfteich, man kann daraus Schachtelhalme, Leuchtkäfer, Jesusblumen und gesprenkelte Blätter fürs Herbarium sammeln. In seinem Dachzimmer, ich nehme an, er wohnt mit seinem Lenlein schräg unterm Hutrand des Hauses, leben sicher viel Kreaturen in Gläsern, Kröten, Fische, Quabben – und in Spiritus die Paradiesschlange zu sehen! Und noch lauter Großknabendinge. Lenlein, die Grünheinrichfrau ist eigentlich ein Heiligenmädchen, betet den grünen Heinrich an. Der ist ganz klein, trägt einen Hügel auf dem Rücken, so daß man ihn erst, wenn man mit ihm reden will, besteigen muß und es viel schwieriger fällt, zu ihm zu gelangen wie zu Menschen, die alltäglich in die Höhe, manche nach unten, aufgeschossen sind. Grünheinrichs Mutter hat gerne Märchen gelesen, und ihr Sohn kam in ihrer Traumwelt zur Welt; ihre Augen mögen wie bei Kindern groß geglänzt haben, als auf einmal der grüne Heinrich in ihren Händen lag [10] mit einem Stern in der Schläfe, wie ihn nur Dichtern von Gott selbst verliehen wird. Der grüne Heinrich ist ein Dichter, und seine Gedichte sind große pietätvolle Wanduhren, schlagen herrlich, wenn er sie vorträgt.“
Else Lasker-Schüler (1869 - 1945) über Max Herrmann-Neiße, aus: Essays, verlegt bei Paul Cassierer, Berlin 1920
Das Foto des Dichters ist von dem Fotografen Max Glauer (1867 - 1935)
Schweigen mit Dir: das ist ein schönes Schwingen
Von Engelsfittichen und Gottes Kleid
Und süß. Unsagbar sanftes Geigenklingen
Verweht von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Schweigen mit Dir: das ist verschwistert Schweifen
Auf weißen Wegen und geliebtem Pfad
Und Fühlen, wie sich Blut zu Blute reifen
Und ranken will aus segensreicher Saat.
Schweigen mit Dir: das ist der Schwalben Schwirren
Um abendliche Türme sonnensatt
Und wonnig-wissen, wenn wir uns verirren,
Uns blüht gemeinsam doch die Ruhestatt.
Schweigen mit Dir: das ist aus Schwachsein Schwellen
Zu immer größrer Fülle, Form und Frucht,
Ist Wärme von Kaminen, Hut in hellen,
Verstohlnen Stuben, Bad in blauer Bucht.
Schweigen mit Dir: so sicher singt das Sehnen
Von Seele sich zu Seele wunderbar -
Ich weiß mein Haupt in deinem Schoße lehnen
Und deine Hände streicheln hold mein Haar!
Max Herrmann-Neisse, aus: Die weißen Blätter, Juli 1915
Max Herrmann-Neiße, geboren am 23. Mai 1886 in Neiße, Schlesien; gestorben am 8. April 1941 in London, Deutscher Dichter, von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben, in dem er 1941, wurzellos, starb.
„Er ist der grüne Heinrich, und alle glauben es, wenn ich das sage. »O ja, er ist der grüne Heinrich.« Seine Augen sind grün, sein Haar ein geschorener grüner Wiesenfleck; seine Eidechsennase – immer schlängelt sie sich. Und sein grüner Primanermund schwellt noch an vor Erwartung. Und seine Seele ist grün und tief, ein heller Schilfteich, man kann daraus Schachtelhalme, Leuchtkäfer, Jesusblumen und gesprenkelte Blätter fürs Herbarium sammeln. In seinem Dachzimmer, ich nehme an, er wohnt mit seinem Lenlein schräg unterm Hutrand des Hauses, leben sicher viel Kreaturen in Gläsern, Kröten, Fische, Quabben – und in Spiritus die Paradiesschlange zu sehen! Und noch lauter Großknabendinge. Lenlein, die Grünheinrichfrau ist eigentlich ein Heiligenmädchen, betet den grünen Heinrich an. Der ist ganz klein, trägt einen Hügel auf dem Rücken, so daß man ihn erst, wenn man mit ihm reden will, besteigen muß und es viel schwieriger fällt, zu ihm zu gelangen wie zu Menschen, die alltäglich in die Höhe, manche nach unten, aufgeschossen sind. Grünheinrichs Mutter hat gerne Märchen gelesen, und ihr Sohn kam in ihrer Traumwelt zur Welt; ihre Augen mögen wie bei Kindern groß geglänzt haben, als auf einmal der grüne Heinrich in ihren Händen lag [10] mit einem Stern in der Schläfe, wie ihn nur Dichtern von Gott selbst verliehen wird. Der grüne Heinrich ist ein Dichter, und seine Gedichte sind große pietätvolle Wanduhren, schlagen herrlich, wenn er sie vorträgt.“
Else Lasker-Schüler (1869 - 1945) über Max Herrmann-Neiße, aus: Essays, verlegt bei Paul Cassierer, Berlin 1920
Das Foto des Dichters ist von dem Fotografen Max Glauer (1867 - 1935)
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