Beine hat uns zwei gegeben ...

Beine hat uns zwei gegeben ...

Zur Teleologie“ (Ausschnitt)
Beine hat uns zwei gegeben
Gott der Herr, um fortzustreben,
wollte nicht, dass an der Scholle
unsre Menschheit kleben solle.
Um ein Stillstandsknecht zu sein,
genügte uns ein einzges Bein.
Augen gab uns Gott ein Paar,
dass wir schauen rein und klar;
um zu glauben, was wir lesen,
wär ein Aug genug gewesen.
Gott gab uns die Augen beide,
dass wir schauen und begaffen
wie er hübsch die Welt erschaffen
zu des Menschen Augenweide;
doch beim Gaffen in den Gassen
sollen wir die Augen brauchen
und uns dort nicht treten lassen
auf die armen Hühneraugen,
die uns ganz besonders plagen,
wenn wir enge Stiefel tragen.
Gott versah uns mit zwei Händen,
dass wir doppelt Gutes spenden;
nicht um doppelt zuzugreifen
und die Beute aufzuhäufen
in den großen Eisentruhn,
wie gewisse Leute tun –
(ihren Namen auszusprechen
dürfen wir uns nicht erfrechen –
hängen würden wir sie gern,
doch sie sind so große Herrn,
Philanthropen, Ehrenmänner,
manche sind auch unsre Gönner,
und man macht aus deutschen Eichen
keine Galgen für die Reichen.)
Gott gab uns nur eine Nase,
weil wir zwei in einem Glase
nicht hineinzubringen wüßten,
und den Wein verschlappern müßten.
Gott gab uns nur einen Mund,
weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppelmäulig wär,
fräß und lög er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
muß er schweigen unterdessen,
hätt er aber Mäuler zwei,
löge er sogar beim Fressen.
Mit zwei Ohren hat versehn
uns der Herr. Vorzüglich schön
ist dabei die Symmetrie.
Sind nicht ganz so lang wie die,
so er unsern grauen braven
Kameraden anerschaffen.
Ohren gab uns Gott die beiden,
um von Mozart, Gluck und Haydn
Meisterstücke anzuhören –
Gäbe es nur Tonkunst-Kolik
und Hämorrhoidal-Musik
von dem großen Meyerbeer,
schon ein Ohr hinlänglich wär! –
Als zur blonden Teutolinde
ich in solcher Weise sprach,
seufzte sie und sagte: Ach!
Grübeln über Gottes Gründe,
kritisieren unsern Schöpfer,
ach! das ist, als ob der Topf
klüger sein wollt als der Töpfer!
...
Heinrich Heine (1797–1856)
aus: „Nachgelesene Gedichte 1845 – 1856“ - 1. Abteilung: Zeitgedichte

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