ES KOMMEN KEINE NACH UNS

ES KOMMEN KEINE NACH UNS

Hilde Domain

Es kommen keine nach uns.
die es erzählen werden,
keine. die was wir
ungetan ließen
in die Hand nehmen und zu Ende tun.
Wir stehen auf einem Stück Land.
das schon abgetrennt ist.
Unsere Schatten fallen
ins Leere.
Kein Spiegel ist aufgestellt,
der unser Bild bewahrt.
keine Folge von Spiegeln mehr,
wenn wir gegangen sind.
Die Bilder
derer, die vor uns waren
und die Luft in unserer Lunge sind.
die mit unserem Munde gelacht.
die mit unseren Augen geweint haben.
sie werden Staub
mit uns.
So wie wir dahingehn
sind wenige dahingegangen.
Es ist gleichgültig
was wir schreiben oder sagen,
außer für dich oder für mich.
Nichts was wir tun
ist eine Saat die nach uns aufgeht.
Wir sind ganz für den Tag gemacht,
nur für diesen, den unsern.
Die kommenden Tage,
die Tage hinter dem Horizont,
gehören Menschen die anders sein werden.
Unser Frühling ist dieser Frühling,
unser Sommer ist dieser Sommer
und unser Herbst dieser Herbst.
Wenn wir uns umdrehn
und sehen, daß wir die Letzten sind.
die Kinder und Kindeskinder derer die waren,
die Väter und Mütter
von niemand,
daß wir am Rande stehn,
auf einer Scholle fast,
die bald treiben wird,
Dann müssen wir
mehr als die andern
den Boden unter den Füßen fühlen
während wir gehen,
diesen kurzen Boden
von Morgen zu Abend.
Wir müssen dünne Sohlen tragen
oder barfuß gehen.
Was wir berühren,
mit leichtem Finger berühren,
mit wachen Fingerspitzen.
Nichts achtlos.
Jedes Mal ist das letzte
oder könnte es sein.
Wir tun es für alle, die vor uns waren,
und für alle, die nach uns
es nicht tlrn
oder ganz anders.
Wir wollen nichts liegen lassen,
halbgetan.
und die Gläser nicht halbgeleert
auf unserm Tisch den Gespenstern lassen.
Wir müssen genau sein
In der Minute des Flügelschlags.
Unser Gesicht nackt
ohne den Firnis
derer, die Zeit haben
sich zu gewöhnen und zu entwöhnen.
Wenn um unsre Balkone das Wasser steigt,
die Spitzen der Bäume
noch sichtbar unter den Sternen,
wenn unsre Häuser auf den Bergen,
in denen noch Licht ist.
sich bewegen
und davonfahrn
als seien es Archen.
dann müssen wir bereit sein
- wie einer der aus dem Fenster springt -
die große Frage zu fragen
und die große Antwort zu hören.

„Nur eine Rose als Stütze“,S 76, Fischer Verlag.

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