Verwandlungen


Verwandlungen
Ich will die Nacht um mich ziehn als ein warmes Tuch
Mit ihrem weißen Stern, mit ihrem grauen Fluch,
Mit ihrem wehenden Zipfel, der die Tagkrähen scheucht,
Mit ihren Nebelfransen, von einsamen Teichen feucht.
Ich hing im Gebälke starr als eine Fledermaus,
Ich lasse mich fallen in Luft und fahre nun aus.
Mann, ich träumte dein Blut, ich beiße dich wund,
Kralle mich in dein Haar und sauge an deinem Mund.
Über den stumpfen Türmen sind Himmelswipfel schwarz.
Aus ihren kahlen Stämmen sickert gläsernes Harz
Zu unsichtbaren Kelch ein wie Oportowein.
In meinen braunen Augen bleibt der Widerschein.
Mit meinen goldbraunen Augen will ich fangen gehn,
Fangen den Fisch in Graben, die zwischen Häusern stehn,
Fangen den Fisch der Meere : und Meer ist ein weiter Platz
Mit zecknickten Masten, versunkenem Silberschatz.
Die schweren Schiffsglocken läuten aus dem Algenwald.
Unter den Schiffsfiguren starrt eine Kindergestalt,
In Händen die Limone und an der Stirn ein Licht.
Zwischen uns fahren die Wasser ; ich behalte dich nicht.
Hinter erfrorener Scheibe glühn Lampen bunt und heiß,
Tauchen blanke Löffel in Schalen, buntes Eis ;
Ich locke mit roten Früchten, draus meine Lippen gemacht,
Und bin eine kleine Speise in einem Becher von Nacht.
Gertrud Kolmar
Aus: “Gedichte”
Lizenzausgabe Suhrkamp Verlag 1996

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