Ruth langweilt sich
Ruth langweilt sich
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Als ich jünger war, dachte ich, wenn ich viel daran denke, wie es ist, alt zu sein, dann kann mich nichts mehr überraschen. Ich dachte mir, es wäre wahrscheinlich ganz gut, alt zu sein. Ich habe mir vorgestellt, ich wäre so eine coole Alte, mit viel Schmuck und lila gefärbtem Haar. Und ich würde in einem Haus wohnen, in Nizza vielleicht, und das schwankte immer, die Idee, wo das Haus sein würde. Auf jeden Fall wäre das Haus immer voll mit wirklich verrückten Menschen, die echt verrückte Sachen machen würden.
Auf Tischen tanzen und so was. Und ich könnte über alles lachen, weil ich weise wäre und es besser wüßte. Was auch immer. Und so richtig klasse wäre es, dachte ich immer, daß mir im Alter die meisten Geschichten egal wären. Liebeskummer, Cellulite und so was. Ich dachte mir, es müsse wirklich ganz nett sein, alt zu werden. Und jetzt bin ich alt und weiß gar nicht, wie es so schnell dazu kommen konnte. Ich bin nicht reich, ich dachte immer, das käme schon noch, aber es kam halt nicht. Es kam auch kein reicher Mann. Oder sagen wir mal, überhaupt ein Mann, der blieb.
Immer dachte ich, es käme da noch ein besserer, weil ich ja auch immer besser würde. Aber das stimmte auch nicht. Es kamen eher immer weniger und schlechtere. Und auf einmal war ich alt. Ohne mich irgendwie weise oder eben alt zu fühlen. Ich fühle mich nur gelangweilt. Ich wohne also nicht in einem Haus in Nizza, sondern in einem verf l uchten Altersheim. Die anderen hier, die sind wirklich alt. Ich nicht. Wenn eines noch an Wunder glaubt, ist es nicht alt...
Sibylle Berg
Aus: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot, Reclam 1997
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