Abends

Abends

Abends gehn die Liebespaare
langsam durch das Feld,
Frauen lösen ihre Haare,
Händler zählen Geld,
Bürger lesen bang das Neuste
in dem Abendblatt,
Kinder ballen kleine Fäuste,
schlafen tief und satt.
Jeder tut das einzig Wahre,
folgt erhabner Pflicht,
Säugling, Bürger, Liebespaare –
und ich selber nicht?
Doch! Auch meiner Abendraten,
deren Sklav' ich bin,
kann der Weltgeist nicht entraten,
sie auch haben Sinn.
Und so geh ich auf und nieder,
tanze innerlich,
summe dumme Gassenlieder,
lobe Gott und mich,
trinke Wein und phantasiere,
dass ich Pascha wär,
fühle Sorgen an der Niere,
lächle, trinke mehr,
sage ja zu meinem Herzen
(morgens geht es nicht),
spinne aus vergangenen Schmerzen
spielend ein Gedicht,
sehe Mond und Sterne kreisen,
ahne ihren Sinn,
fühle mich mit ihnen reisen,
einerlei wohin.
(Hermann Hesse, 1877–1962)

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