Segen

Dr. Franz von Lochthoven wartete. Er blickte verträumt aus dem beschlagenen Fenster. Es schneite auf den dunklen Straßen seines noblen und relativ sicheren Wohnviertels. Es war wieder heiliger Abend. Gleich mußten sie kommen. Wie jedes Jahr. Dr. von Lochthoven war nunmehr 75 Jahre alt und ehemaliger Kinderchirurg. Er hatte seine Arbeit mit Hingabe gemacht. Immer dem Hippokratischen Eid folgend. Er hatte so viele junge Herzen gerettet. Und das dankbare Strahlen in den Augen der Eltern war eigentlich schon Bezahlung genug gewesen. Da klingelte es dreimal an der großen, hölzernen Haustür. Franz freute sich auf den Besuch. Er erhob sich aus seinem Lieblingssessel und schlurfte zur Tür. Es fiel ihm von Jahr zu Jahr schwerer. Der Schnee wehte kalt und doch irgendwie anheimelnd herein, als er öffnete. Da standen sie. Der kleine Jakob Berger mit den lustig abstehenden Ohren. Die etwas schüchterne Elisabeth Ergezinger mit ihrer dauernd klemmenden Zahnspange und noch ein gutes Dutzend mehr Kinder. ,,Frohe Weihnachten Dr. von Lochthoven." Trat Jakob als Wortführer vor. ,,Wir sind hier um ihnen unseren Weihnachtssegen zu geben." Franz wußte nicht wie oft er das noch erleben würde und freute sich kindlich. ,,Wir wünschen Ihnen eine gesegnete Nacht und wir lieben sie. Sie haben es versucht. Sie haben ihr Bestes gegeben. Gott sei mit ihnen für alle Zeit." Er sah dem alten Arzt tief in ins freundliche Gesicht. ,,Immer wieder."
Franz bekreuzigte sich und schlug ergriffen die Tür hinter sich zu. Lehnte sich von innen aus allen Poren schwitzend dagegen. Tränen liefen aus seinen kurzsichtigen Augen. Sie würden jedes Jahr wiederkommen. Bis zu seinem Tod. Die Kinder die er nicht hatte retten können. Die ihm auf dem OP-Tisch verstorben waren.
Da klopfte es zaghaft. Eine kleine Hand.
Franz zog liebevoll lächelnd die Tür auf. ,,Frohe Weihnachten." Da stand ein kleines Mädchen mit verschneiten Pausbäkchen und in einem seidenen Totenkleid. ,,Du hast mich auf dem Tisch falsch intubiert. Ich bin jämmerlich erstickt. Mein lerzter Gedanke war kein schöner."
Das waren die letzten Worte die Dr. von Lochthoven auf dieser Erde hörte. Es war sein allerletztes Weihnachten. Er starb einen angstvollen und unmenschlichen Tod.

Reacties

Populaire posts van deze blog

Open brief aan mijn oudste dochter...

Vraag me niet hoe ik altijd lach

LIVE - Sergey Lazarev - You Are The Only One (Russia) at the Grand Final