Mein Freund Helge
Helge, den ich vor Jahren in einer kitschigen Dorfdisco kennengelernt habe, war immer schon ein kleiner Tagedieb und Träumer gewesen. In der Schule mittelmäßig aber Nummer eins im Schachclub. Landesmeister. Er nahm immer mal wieder verschiedenartigste teils kuriose Jobs an, verlor den einen, quittierte den anderen. Er hatte nichts gelernt oder studiert, war aber in der Lage fünfzehnstellige Zahlen miteinander in Sekundenschnelle zu multiplizieren. Er sprach fließend spanisch, weil seine Mama früher in Spanien gearbeitet hatte. Was sie da in den schwülen Nächten getan hatte, hatte sie ihm nie erzählt. War wohl auch nicht so wichtig.
Eines vormittags hörte ich im Halbschlaf die Nationalhymne von Paraguay. Mein Smart. Helge. Wahrscheinlich wollte er sich wieder Geld pumpen oder eine Frau hatte ihn verlassen. Mal wieder.
,,Stefan! Komm in den Zoo Brunkensen! Ich hab den Megajob ever! 2500€ auf die Kralle und ne ruhige Kugel schieben! Das must du dir ansehen. Bin seit einer Woche dabei!"
Ich rappelte mich langsam auf und überlegte ob ich auf Kaffee verzichten sollte oder lieber nicht. Wenn Helge so euphorisch klang steckte meistens, nein, bis jetzt immer, ein Luftschloß dahinter.
Aber eine Dreiviertelstunde später stand ich in besagtem Tierpark. Ich erkundigte mich am Einlass nach Helge Mittenhagen. ,,An der Touristenbahn vorne am Zoorestaurant. Da animiert er gerade."Ich freute mich auf Helge. Er war so erfrischend doof. Wenn man doof als etwas abgefahrenes, positives betrachtet.
Von weitem erkannte ich ihn an seinem rosa Hemd. Wenn ich genau darüber nachdenke, habe ich ihn nie in anderer Kleidung gesehen. Aber er besaß 25 rosa Hemden. Die hatte es bei New Yorker irgendwann eimal im absoluten Sonderangebot gegeben.
,,Stef. Ich fahre gleich ne Tour! Du bist natürlich mein Wingman!" ,,Okidoki. Womit fahren wir?"
,,Mit der guten alten Eisenbahn!" Eine scheinbar einem Mickeymausheft entsprungene Miniatur des Orient Express stand auf dem Gehweg. Natürlich bereift und nicht auf Schienen. ,,Setz dich mit deinem edlen Arsch rein! Wie sagt die alte Schokowerbung von 1990?, was für Kinder gut ist kann für Erwachsene nicht schlecht sein."
Ich nahm vorne auf dem Bock Platz und schaute mich zwischen Eisdiele und Restaurant um. Ein gutes Dutzend unter zehnjähriger Kinder kam schwatzend und an Eistüten leckend herbeigelaufen. Sie hatten die Fahrt natürlich frei. Helge setzte pfeifend den kleinen Zug in Bewegung. Er lenkte ihn fröhlich unter tiefhängenden Kastanien hindurch. ,,Also, was wollt ihr zuerst sehen? Die Otter oder die Tiger?"rief er. Die Kids in den Wagen schrien wie aus einem Mund,,Die Tiger!" Helge machte eine scharfe Kurve und zuckelte gemächlich am Raubtiergehege vorbei. Die imposanten Katzen lagen, satt von der letzten Fütterung, auf ihren mit rohem Kalbfleisch gefüllten Bäuchen.
Da erhob sich der größte, kapitalste der schönen Tiere und fauchte seine komplette Verzweiflung und seinen über Jahre angestauten Zorn über ein versäumtes Leben in Gefangenschaft hinaus. Die Kinder applaudierten begeistert. Danach drehte Helge eine Runde ums Visentgehege und um das belebte, blubbernde Robbenbecken. Er erzählte kleine Anekdoten und scherzte. Ich fand er machte den Job toll.
Dann kehrte der kleine Zug auf einer mir unbekannten linken Abzweigung in die Einfahrt eines knallbunten Gebäudes ein, das ich hier noch nie zuvor gesehen hatte. Auf einem großen Schild stand in Comicschrift: ZUHAUSE!
Helge stoppte das Gefährt in einer staubigen Garage. Die Kinder kletterten mit erwartungsvollen Mienen aus den Wagen und bedankten sich,, Gott segne sie, Fahrer!". Aber kein einziges sagte -wir sehen uns wieder-
,,Was ist das hier für ein Job, Helge?"
,,Ich bringe sie nach Hause. Sie sind heute Nacht in ihren Betten gestorben und noch einmal dürfen sie mit mir durch eine Welt des Vergnügens fahren. GeilerJob old Stef. So und jetzt eine Zigarettenpause.'
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