Dame von Welt
Hanni Geißlein legte mit ihrem 88 Jahren besonderen Wert auf zwei Dinge. Adrettes Schuhwerk. Sie besaß genau 256 Paar Ausgehschuhe und 45 Paar Hausschuhe, die meisten kitschig pink mit Puschel auf dem Rist. Jeden Monat kamen neue Fußschmeichler hinzu. Hanni gab einen Großteil ihres Erbes dafür aus. Das zweite worauf sie Wert legte war eine tadellos sitzende Frisur. Sie war schließlich Ehrenvorsitzende des örtlichen Pudelvereins und da mußte sie oben wie unten ein repräsentatives Bild abgeben. In der gesamten Stadt Kastrop Rauxel gab es nur Alfons, den sie an ihre für ihr Alter noch recht üppige Pracht heranlies. An einem sonnigen Freitagnachmittag im März 1979 war es wieder so weit. Sie betrat wie eine Königin den Salon des zurückhaltenden Italieners. ,,Madame Geißlein. Ich sonne mich in der Pracht ihrer Erscheinung. Ich stehe die nächsten Stunden die immer nur ihnen zur Verfügung. Nehmen Sie bitte Platz." Hanni ließ sich den Schutzkittel überziehen und genoss die virtuosen Hände Alfons als er sie mit einer besonderen Haarspühlung aus Nordafrika wusch. ,,Wie sieht es in der Stadt aus, Madame. Sie wissen ich komme nicht sehr oft dorthin."
,,Das übliche Geplänkel. Ich vekehre wie sie wissen in den etwas, wie soll ich es ausdrücken, beleseneren und begüterteren Kreisen dieser charmanten Stadt. Da kriegt man so einiges mit. Die Frau von Bürgermeister Borg soll mit ihren 48 Jahren das erste Mal in anderen Umständen sein. Aber nicht Borg ist der Glückliche, sondern ein Hauptschulabbrecher aus Düsseldorf. Der betreibt ein Stundenhotel. Stellen Sie sich das vor. Oder die Siamkatze von Richterin Marhold hat ein Kind gekratzt. Jetzt versuchen die Eltern ordentlich etwas dabei herauszuschlagen." Alfons hatte angefangen ihre Haare zu legen und die Spitzen zu schneiden. Er rührte eine dezente Tönung an und schuf fachmännisch auf ihrem betagten Haupt ein hautfreundliches und ihr schmales Gesicht betonendes Kunstwerk des gehobenen Alltags. Dann noch eine halbe Stunde unter der Trockenhaube, und Hanni erblühte im Glanz ihres leider nicht mehr ganz so jungen Wesens. ,,Danke Alfons. Du hast dich wie immer selbst übertroffen." Sie erhob sich aus dem Stuhl und drehte sich zum Tresen.
Der Verfall schlug ihr entgegen.
Alles lag verwahrlost in Schutt und Asche. Eine dicke Staubschicht verschneite grauweiß das uralte Mobiliar. Von der Decke hingen verrottenden Kabel und Isolierungen. Irgendwo raschelten flinke Schaben. Nicht gerade eine Umgebung für eine Lady. Aber sie bekam von Alfons gratis die Haare frisiert, seit er sie 1959 versucht hatte zu vergewaltigen und sie ihm die Felierschere tödlich ins Herz gerammt hatte.
Sie spürte seine beruhigende Aura immer noch irgendwo hinter sich. Der alte Schwerenöter.
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