Auftritt

Seinen richtigen Namen hatte der einsame Künstler schon lange vergessen. Alle nannten ihn nurnoch Joseppe den Kinderfreund. Jetzt saß er wieder vor dem messingumrahmten Spiegel in seinem Trailer und zog mit Kaialstift die ohnehin beängstigend ausdrucksstarken Augen nach. Ganz vorsichtig. Er wollte sich nicht verletzen. Joseppe leckte sich genüßlich die rot geschminkten Lippen. Geiler Geschmack.Gleich würde er wieder in der Manege stehen. Und die Kleinen, deren Vertrauen er wie ein Trickdieb genoss würden seinen Späßen applaudieren. Bis er sie mit hinter die Kulissen nahm. Dann würden sie weinen und er würde sie nicht trösten, sondern ihre salzigen Tränen lecken. Der Mann der sich Joseppe nannte zog sein buntes Sacko über. Ja, er war ein gemachter Clown. Damals, in der forensischen Psychiatrie hatte er einem Zimmergenossen eine solche Jacke genäht. Er hatte sie ihm wieder weggenommen, weil er an einem Valentinstag keinen Kaffee rausrücken wollte. Dann hatte er noch anderes mit ihm gemacht. Sein Clownprogramm abgezogen. Der Typ hatte nicht gelacht.
Er langte auf den Frisiertisch und steckte sich ein paar Messer und Scheren in die Tiefen Taschen. Die speziellen Gäste sollten ja ihren Spaß haben.
Der Mann mit Vergangenheit trat bei lustiger Musik durch den großen Vorhang ins Zelt des Cirkus Ronkalli. ,,Hallo liebe Freunde und solche die es werden wollen, hier kommt euer Joseppe mit dem Spaß der ganzen Welt zu euch. Einige sehen aus als wenn sie etwas Aufmunterung vertragen könnten!" Er formte aus einem Wurstluftballon ein Abbild Richard Nixons. Dann aß er schmatzend eine Rose aus dem Knopfloch. Sein Blick schweifte gierig durch die Sitzreihen. Da saß ein blondes Mädchen mit geschminkten Augen. Ladzif für das Alter. Und ein dicker Bengel mit Dauerlutscher lachte verführerisch. Er mochte dicke Jungen. Viel zum festhalten wenn sie in seinen nackten Armen starben. Der grinsende Clown holte die beiden in die Manege. ,,Kommt zu mir! Du mit dem Lutscher und du Süße in der ersten Reihe!" Er beugte sich lüstern zu den beiden hinunter und raunte,, Ich habe euch speziell ausgewählt, nach der Vorstellung mit mir in meinen Wohnwagen zu kommen. Ich habe scharfe Spielzeuge. Und wenn ich sage scharfe, dann meine ich scharfe. Messerscharfe."
Der Abend war gerettet. Wieder Fleisch zum spielen. Da blickte er in zwei rehbraune und nasse Augen im wogenden Publikum. Da in der dritten Reihe auf einem der billigeren Plätze erkannte er erregt erzitternd die einzige Person die ihn jemals in seinem verpfuschten Leben hatte bändigen können. Die ihm Zigaretten drehte nach einem Krampfanfall, die ihm aus der Bibel vorlas, wenn er einen Heroinaffen schob. Er erkannte sie, Manuela. Sie saß ganz rechts außen und weinte. Da fiel ihm alles wieder ein. Er war ein Serienkiller nahmens Karl Willibald Lehmann. Mit dieser Frau hatte er vor zehn Jahren sein Leben beendet. Sie hatten den Gasherd aufgedreht und waren in der Badewanne friedlich eingeschlafen. Er gehörte nicht hierher. Die Kinder hatten eine Zukunft. Er nicht. Willi winkte seiner Manuela zärtlich zum Abschied und strich den popelnden und grinsenden Kindern über den Kopf. Leckte nochmal am Lolli des dicken Jungen. ,,Laßt euch nicht von fremden Männern ansprechen."
Dann tanzte er ein letztes mal durch den verheißungsvollen Vorhang, hinein ein Tor, das nur für ihn offenstand. In ein rotes, flackerndes, endgültiges Zwielicht.

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