Es war einmal....

Josef Werners war ein Deutschlehrer der besonderen Art. Er legte sich oft mit etwaigen Vorgesetzten an, weil diese seiner Meinung nach den Unterricht zu rigide und nicht jugendgerecht genug gestalteten. Er ging mit den Kindern hinaus in die freie Natur und ließ ihrer Phantasie freien Auslauf. Sie sahen dann Gnome und Trolle in knorrigen Baumstämmen und Fehen in kleinen Tümpeln. Waren ganz andächtig und still.
Danach lies Josef über das Erlebte Aufsätze schreiben. Dabei kamen teilweise die tollsten kleinliterarischen Kunstwerke heraus. Eine Schülerin hatte es letztes Jahr sogar auf eine Jungautorenlesung nach Berlin geschafft.
Zu Hause liebte Josef seinen Sohn Isaac. Ein aufgeweckter 11jähriger mit Top Schulnoten und einem braunen Gurt im Judo. Isaac war sein ganz privater Glückstreffer. Seit seine Frau mit 50000€ und dem Familienschmuck ausgezogen war und er das alleinige Sorgerecht besaß las er seinem klugen kleinen Prinzen abends selbstgeschriebene Geschichten vor und wob und strickte immer wieder kleine Wissensthemen mit ein, zu denen er dann spielerisch die ein oder andere Frage stellte.
Am Sonntagabend, in neugieriger Erwartung einer langen erfüllten Schulwoche in der 5a und 4c, setzte sich Joseph wieder an Isaacs Himmelbett mit den Sternen und den acht Planeten, plus Pluto.
Der braunhaarige, ansehnliche Junge mit den auffallend hervortretenden Wangenknochen blickte ihn gespannt an. ,,Ich warte schon seit 36 Minuten." ,,Ich brauchte ein wenig für den Plot." entschuldigte er sich und schlug das große Gutenachtgeschichtenheft auf.
,,Bist du auch schön zugedeckt?",,ja Papa!"
Er began:
,,Es war einmal ein roter Farbklecks, der fühlte sich als einziger Überlebender in einem ausgetrockneten Akrylkasten einsam. -Weißt du denn, mein Isaac zu welcher Farbgruppe oder Familie Rot gehört?" Isaac blickte ratlos. ,,Zu den Signalgarben!" Wußte er. ,,Das meine ich nicht. Ich meine die Grundfarben. Na dann weiter.- Der kleine Klecks schlüpfte durch ein Lüftungsgitter und machte sich auf den Weg in die Welt hinaus. Er war in einer riesigen Stadt mit der großen Brooklyn Bridge.- Welche Stadt könnte ich meinen?"lächelte er verschmitzt. ,,San Francisco. Die haben auch eine große Brücke.",Leider wieder falsch. Gemeint ist New York City. - Der Klecks sprang von Autodach zu Autodach, von Hotdogbuden zu Pizzaständen. Immer auf der Suche nach neuen Freunden. Da sah er einen Straßenmaler auf dem Broadway vor einer riesigen Staffelei hocken und gedankenversunken ein Bild der Freiheitsstatue auf Leinwand bannen. Neben sich eine Schnapsflasche, vermutlich eine, in einer braunen Plastiktüte. Der Klecks möchte den ungepflegten Mann und sprang unbemerkt auf die Farbpalette. Er bereicherte mit seinem saftigen Rot so das Schaffen des Künstlers um eine neue nie dagewesene Note. Ende.Und jetzt Schlaf schön, Sportsfreund.",, Wann war der Klecks aufgebraucht?" ,,Als das Werk des Malers perfekt war." Josef bewegte sich zur Tür, drehte sich noch einmal um. ,,100:3=?" Isaac zögerte.,,Man kann hundert nicht durch drei teilen." ,,Doch. Hundert geteilt durch drei ist dreiunddreißig Periode drei. Und jetzt laß dich nicht von den lieben Nachtgespenstern ärgern. Ich liebe dich wie du bist. Bis morgen!"
Damit zog Josef leise die Tür zu.
Er hatte noch zu tun.
Er stieg die Kellertreppe hinab und schloß eine rote Metalltür auf. Das Licht von Neonröhren flackerte an und offenbarte einen mit Hightech vollgestopften Raum. Ein Labor. Hier standen Computer der modernsten Modelle aus Amerika und es blubberte in mächtigen Cryotanks. In einer Nährlösung schwammen wohl konserviert ansehnliche Jungengesichter mit auffallend hervortretenden Wangenknochen. Er hatte sein Projekt noch nicht zur Perfektion gebracht. Der Junge war noch zu dumm. Er würde wohl ein weiteres Mal seinen Kopf austauschen müssen.

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