Berliner Mai


Berliner Mai

Die Mörder gehen jetzt mit durchweg sanften Blicken,
Und Straßenecken-Mädchen niesen laut.
Sonne glänzt speckig über Geldverdiener-Rücken,
O Welt, vom Auto aus, wie schön bist du gebaut!

Kaugummis fliegen hinter wohlgeformten Beinen,
Denn wer modern-verliebt ist, wird mitunter frech,
Vom Waldrand her quakt’s von Gesangvereinen,
Und die im Dickicht hängen, hatten eben Pech.

John Förste (1889 - 1941)

Danziger Mai

Das bleibt sich gleich: ob an der Riviera oder an der
Radaune,
ein richtiger Mai verpflichtet zu strahlender Laune.
(Als ob im übrigen der Bischofsberg mit allem so umher
aus Pappe oder sonstwas wär' . . .)

Ich habe hierüber noch vor zwei bis drei Wochen
mit einem Freunde aus der Tagnetergasse gesprochen.
Der mußte erst sieben kleine Machandel heben,
und hat mir dann aber völlig recht gegeben,
denn im ganzen Steffenspark ist kein einziges Bänkchen
frei.

Wer wirft da wohl den ersten Stein gegen den Danziger
Mai?

Ich werfe nicht, du wirfst nicht, und wir werfen alle nicht,
denn Ruhe ist nach wie vor die erste Bürgerpflicht,
und wie es dir ums Herz auch immer sei,
bewahre deine Würde erst recht im Mai!

Frohlocke inwärts, fall' auch in Ekstase, aber möglichst
stumm,
denn was nützt dir der Garten vor dem Polizeipräsidium
mit seinen Tulpen, Primeln und Reseden,
wenn die Leute darin nicht gerade günstig über dich reden?

Im übrigen aber bleibt es natürlich dabei:
ob an der Mottlau oder am Jenissei,
Mai bleibt Mai!

Erich Ruschkewitz (1904 - 1941)

John Förste: Geboren am 26. Januar 1889 in Mainz als Joseph Förste. Besuch der Fachschule für Architektur an der Kunstgewerbeschule Mainz und der Großherzoglich Hessischen Baugewerk- und Gewerbeschule Bingen. 1911 ein Jahr Maurerpraktikant bei Prof. Peter Behrens, dann bei Prof. Bruno Paul am Kunstgewerbemuseum Berlin als Architekt tätig. 1914 bis 1919 Veröffentlichungen in den Zeitschriften Die Aktion, Jugend, Menschen sowie in der Anthologie 1914–1916 und im Aktionsbuch unter dem Namen Jomar Förste, der Ausdruck seiner Rilke-Verehrung ist. Beteiligt an der Gründung der nachrevolutionären DADA-Zeitschrift Jedermann sein eigner Fußball sowie an der von George Grosz und John Heartfield herausgegebenen Zeitschrift Die Pleite. Veröffentlichungen u. a. in Die Pleite, der satirischen Arbeiterzeitung Der Knüppel sowie in den Unterhaltungsblättern Jugend, Simplicissimus und Ulk als John Förste. Fortschreiten einer Lungentuberkulose, die zahlreiche Krankenhausaufenthalte nach sich zieht. Bittere Armut und große Not. Am 21. März 1941 stirbt Joseph Förste im Dr.-Heim-Hospital in Berlin-Buch an Lungen- und Kehlkopftuberkulose.

Ihm ist das 23. Heft der verdienstvollen Reihe Versensporn gewidmet. Das Heft bietet eine Auswahl der verstreut veröffentlichten Gedichte aus den Jahren 1914 bis 1931 (insgesamt 51).

Erich Ruschkewitz, der am 16. Juli 1904 in Bütow/Hinterpommern zur Welt kommt, besucht zunächst das Gymnasium in Danzig. Ab 1923 nimmt er mit politischen und satirischen Gedichten, Rezensionen, Rundfunkkommentaren sowie lokalen Reportagen seine publizistische Tätigkeit auf. Seine Beiträge erscheinen vor allem in der Danziger Rundschau und in der Danziger Volksstimme, später auch in der Satirezeitung Das Stachelschwein oder im Simplicissimus. Nur wenige Schriftsteller Danzigs treten so wie er für die deutsch-polnische Verständigung ein.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gewinnt für Ruschkewitz seine jüdische Identität zunehmend an Bedeutung. Er beteiligt sich aktiv am Leben der Jüdischen Gemeinde, wird Geschäftsführer des Jüdischen Clubs und übernimmt 1939 die Redaktion des Jüdischen Gemeindeblattes. Trotz des nach November 1938 gefassten Beschlusses der Gemeindemitglieder zur geschlossenen Auswanderung bleibt Ruschkewitz in Danzig, wird 1940 Mitglied der „Transportleitung“. Am 7. Dezember 1941 wird er nach Riga-Jungfernhof deportiert, dort verliert sich seine Spur. (Text: Versensporn)

Im März 2017 erschien als 27. Heft der verdienstvollen Lyrikreihe VERSENSPORN, durch die auch auf diesen Dichter aufmerksam wurde, eine Textauswahl mit 39 Gedichten von Ruschkewitz.
Dass Bild "Potsdamer Platz" ist von Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938)

 

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