Gedichte


Gedichte
I

Meine Seele, Du, Gewölbe einsamkeitumblaut!
Meer mit unsichtbaren Küsten,
Glut, die durch die Mitternächte taut,
Ragst Du nicht mit trunkenen Gelüsten
In Regionen, die das Kreuz des Südens schaut?

Türmerin von Kathedralen, die im Nordlicht stehn,
Griff aus Dunkelheit der Träume,
Wandlerin auf kirchentiefen Seen,
Wälzt Du nicht die Ewigkeit der Räume
Wie beschwingte Knaben Reifen durch Alleen?

Schauerin des Chaos, das vorweltlich widerhallt,
Wanderin durch letzte Ringe,
Faust, die sich um kreisende Gestirne ballt,
Sinkst Du nieder noch auf alle Dinge
Vampyrbrünstig saugender Gewalt?

Meine Seele, Du, Gewölbe allheitüberblaut!
Dom aus Inbrunst aller Töne,
Wirst Du nicht von Gottes Reich umbaut –
Dieses einst durch Deine späten Söhne
Wandeln in Gestade, die Dein unbenannter Gott
nur schaut?

II

Seligpreisungen eröffnen ihre sieben Pforten
In den Mauern Deiner dreigetürmten Stadt.
Zwölf Apostel weinen an den sieben Orten,
Die geheimnisvoller Tropfen Deiner Einheit über-
wunden hat.

Und Propheten stehn zu zwölf verkündend an den
Wegen,
Die durch Meere führen ins gelobte Land,
Wo die Unermeßlichkeiten sich bewegen
Aus der rätselhaften Fülle Deiner dreigespaltnen Hand.

Steht Maria nicht am andern Ufer Deines Flusses:
Zeichen der unheimlich doppelten Gestalt,
Die aus Rausch zusammensinkenden Ergusses
Durch die Einfalt aller Kinder ungebrochen widerhallt?

Schaure Du, den Gottessüchte in die Sphären stürzen:
Dein unendliches Entströmen wird gelenkt
Von geheimen Wünschen, die es gütig kürzen,
Daß es Dich im dunklen Gleichmaß tönend nicht aus
Deinen Grenzen sprengt.

Aus: Der Zweemann, Literarische Zeitschrift, Nr. 5, März 1920

Robert Brendel, geboren am 3. September 1889 in Pachuca, Mexiko; gestorben am 29. Mai 1947 in Hamburg, Studienrat und Schriftsteller.

Robert Brendel rief 1927 einen „Republikanischen Verein“ ins Leben und äußerte sich ausdrücklich positiv zur Weimarer Republik. Dafür erhielt er bereits vor 1933 massive Kritik von rechts. Er schloss sich keiner Partei an, trat jedoch aufgrund seines sozialen Verantwortungsgefühls für ausgegrenzte Personen ein. Da er zu seiner jüdischen Frau hielt, musste er 1934 zwangsweise nach Wesermünde wechseln und wurde 1936 zwangspensioniert. Im selben Jahr zog die Familie nach Hamburg. Brendel hoffte, in der Anonymität der Großstadt weiteren Repressionen entgehen zu können. Er schrieb einige kurze Texte, die unter anderem im Hamburger Anzeiger erschienen. Ab 1938 waren ihm weitere Publikationen endgültig verboten. In der Folgezeit nahmen die Repressionen gegen Brendels Familie signifikant zu. Robert Brendel wurde zur Zwangsarbeit herangezogen. Seine Frau sollte im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert werden, wozu es jedoch aufgrund eines kurzzeitigen Aufschubs nicht mehr kam.

Das Bild "In Blau" (1925) ist von Wassily Kandinsky (1866 - 1944)

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