Flaschenpost


Flaschenpost

Sie kämpften vergebens. Der Tod, er winkt.
Das Schiff geborsten. Es sinkt – es sinkt
hinab in die Tiefe und schaurig klingt
der Mannschaft Fluchen und Weinen.
Nur der Schiffer steht ruhig im wilden Orkan.
Er weiß, er hat seine Pflicht getan.
Noch ein scharfer Befehl, dann schließt er sich ein.
Eine Flasche leert er vom köstlichsten Wein
auf Glück und Segen der Seinen.
Es gurgelt im Schiffsraum. Zur Eile ’s ihn treibt.
Er greift nach Tinte und Feder.
Des Schiffes Schicksal und Grüße schreibt
er an Weib und Kind und den Reeder.
Und die letzte Botschaft nach Seemannsbrauch
vertraut er der Flasche gläsernem Bauch,
versiegelt den Hals, dann seufzt er schwer
und über die Reeling ins brausende Meer
wirft er das Glas mit dem Briefe. – –
Ein Schiff ruht mehr in der Tiefe. –
Am fernen Strande im Sonnenschein,
da spielen zwei Kinder mit Muschel und Stein.
Auch ihnen im Herzen die Sonne scheint;
sie wissen ja nicht, daß die Mutter jetzt weint
um den Mann, der lang nicht geschrieben,
vielleicht – auf dem Meere geblieben.
Eine Flasche treibt auf dem Wellengespiel
und bietet den Kleinen ein prächtiges Ziel.
Hei, wie in der Sonne sie blinket.
Und hurtig von linkischer Kinderhand
wird Stein auf Stein nach der Flasche gesandt.
Wie strahlt vor Freude das Kindergesicht,
als endlich das gläserne Schiff zerbricht
und jäh im Wasser versinket. – –
Das Meer birgt schweigend am Grunde
voll Mitleid die traurige Kunde.
Joachim Ringelnatz (1883 –1934)
Gemälde: Johannes Holst (1880 –1965): Vollschiff im Sturm, 1937 – galerie-deichstrasse.de

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